Ein Bericht der ADRA “weltwärts”-Freiwilligen Paula, die in Bulgarien ihren Freiwilligendienst macht.
Als ich mich vor knapp einem Jahr dafür entschied nach Bulgarien zu gehen, wusste ich nicht, was mich erwartet. Ich hatte keine Vorstellung vom Land, nur eine grobe Ahnung, was genau ich in meinem Projekt machen werde und die oft gestellte Frage „Aber warum denn Bulgarien?!“ konnte ich mir selbst nicht wirklich beantworten. Trotzdem hatte ich das Gefühl, dass es das Richtige ist und stand ohne wirkliche Begründung voll hinter meiner Entscheidung. Und das habe ich in mittlerweile sieben Monaten im Projekt auch noch keinen Tag bereut!
Anders als die meisten meiner Mitfreiwilligen verbringe ich die Zeit meines Freiwilligendienstes nicht am anderen Ende der Welt. Man könnte vielleicht gerade so vom anderen Ende Europas sprechen. Mit dem Flieger könnte ich in etwas mehr als zwei Stunden wieder Zuhause sein. Bulgarien ist kein Entwicklungsland, trotzdem ist vieles anders. Obwohl Sofia sich auf den ersten Blick nicht großartig von einer normalen deutschen Großstadt unterscheidet, fällt bei genauerem Hinsehen doch immer wieder auf, dass man sich im ärmsten Land der EU Mitgliedsstaaten befindet. Löhne und der Lebensstandard sind generell niedriger und unfertige oder halb verfallene, aber trotzdem bewohnte Häuser sind keine Seltenheit, nicht nur in den Randbezirken. Die Kultur und generelle Einstellung sind zwar prinzipiell europäisch geprägt, dennoch musste ich mich erst daran gewöhnen, dass alles etwas langsamer, entspannter und spontaner von Statten geht als Zuhause. Auch einige Probleme, wie zum Beispiel die Einstellung der Bevölkerung den lokalen Roma gegenüber, wurden schnell deutlich.
Das ist der Punkt, an dem mein Projekt ansetzt. Unter dem Titel „Young people for tolerance“ arbeiten wir mit Kindern und Jugendlichen in Schulen, Jugendzentren oder auch mal an der Universität. Themen wie Menschenrechte, Diskriminierung und Toleranz stehen hier in den Schulen nicht unbedingt auf dem Lehrplan und müssen daher von außerhalb kommen. Mit spielerischen Workshops versuchen wir Interesse daran zu wecken, zum Nachdenken anzuregen und weit verbreitete Vorurteile zu hinterfragen.
Leicht ist das nicht immer. Interesse von den Schülern ist selten von vornherein gegeben. Verständigungsprobleme sind keine Seltenheit und auf einmal vor einer Klasse zu stehen, statt mittendrin zu sitzen, immer noch ungewohnt für mich. Oft sind nur drei bis vier Kinder aktiv dabei und dann meistens auch eher aktiv gegen das, was wir vermitteln wollen. Doch wenn zwei dieser Kinder am Ende der Stunde nach vorne kommen, fragen wann wir wiederkommen oder einräumen, dass die Vorurteile und Stereotypen möglicherweise nicht auf alle Roma oder Flüchtlinge zutreffen und man über einiges noch ein bißchen nachdenken könnte, weiß ich, dass es nicht umsonst war.
Ich habe Bulgarien in den letzten sieben Monaten als ein Land voller Kontraste, mit einer wunderschönen, völlig unterschätzten Natur und viel mehr jungen Freiwilligen aus ganz Europa als ich jemals gedacht hätte, erlebt. Ich durfte unglaublich viele neue Erfahrungen sammeln, schätze auch den nicht immer spannenden Büroteil meiner Arbeit und kämpfe mit der Aussprache der praktisch nur aus Konsonanten bestehenden, bulgarischen Wörter. Ich kann immer noch nicht glauben, wie schnell die ersten sieben Monate vergangen sind und freue mich auf die nächsten vier. In einem Land, von dem ich vor einem Jahr nicht einmal genau wusste, wo es liegt und einem Projekt, über das ich kaum mehr wusste, als dass es etwas mit Kindern zu tun hat und auch Büroarbeit enthält, habe ich wirklich das Gefühl angekommen zu sein.
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